„Weil es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen glücklich zu sein.“ Voltaire.
„Was immer du tun kannst oder träumst, es zu können, fang damit an.“ Johann Wolfgang von Goethe.
Der erste Postkartenspruch steht seit Jahren gerahmt in meiner Wohnung herum.
Das zweite Zitat fiel mir zufällig in die Hände, ich kannte es nicht, ich schrieb es auf und hängte es mir an die Wand über meinem Schreibtisch. „Dein Inneres nach Außen bringen, das Geheimnis deines zukünftigen Erfolgs“ hatte mir ein Kollege auf ein Premierenkärtchen geschrieben. Auch diese Aussage hing über meinem Schreibtisch.
Wir schreiben Anfang des Jahres 2020: mein berufliches und mein privates Leben liefen so vor sich hin, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Ich – freischaffende Spielleiterin im Musiktheater mit Regieambitionen, aber auch nicht wirklich von mir überzeugt.
Wir – in einer Beziehung, ohne Kind, mit dem Wunsch danach und enttäuscht, ob Jahren der erfolglosen Versuche.
Die Jobs vorhanden, ausreichend zum Leben und Reisen, aber eben geradeso nur ausreichend und dazu
das permanente Gedankenkarussell, Arbeit suchen, finden, suchen, finden, bewerben, anbiedern, betteln.
Entspannung, Ruhe, Sorglosigkeit eher selten.
Dazu ein leichtes Bauchgrimmen, weil ich die Arbeit als Spielleiterin ob zu enger Dispos oft nicht mehr mit dem mir wichtigen künstlerischen Anspruch machen konnte.
Ich war am Absprung in eine neue Karriererichtung, die nächsten Projekte nur noch eigene Regie, Co-Regie am renommierten Haus, Selbstständigkeit, „keine Assistier-Sklaverei zu Niedriglöhnen“ hatte ich mir vorgenommen –
und dann kam Corona.
Ich erinnere mich, als wäre es gestern: 15. März 2020 – in Frankreich gingen die Grenzen zu (wir lebten damals in Strasbourg) und der Lockdown begann. Weiter als 1km Radius von der Wohnung durfte man sich nicht bewegen, zum Einkaufen nur mit Passierschein.
Das Bauchgrimmen wurde noch größer, es regte sich meine Freiheitsliebe, Europas Grenzen dicht – beängstigend! Als würden Landesgrenzen ein Virus am sich verbreiten hindern können…
Doch gleichzeitig begann es in mir still, ruhig, und ungewöhnlich friedvoll entspannt zu werden.
Die Welt stand gefühlt still, in mir wurde es still! Still und leer!
Natürlich drehte sich auch das Gedankenkarussell zunächst weiter: In den sozialen Medien meines Netzwerks tobte die nackte Panik – mein erster Impuls, den ich offensiv kommunizierte „alles wird gut, optimistisch bleiben“. Trotzdem – Freischaffende im Kulturbetrieb fielen durch alle Rettungsnetze, ich selbst ebenso ins Bodenlose: die zwei verbleibenden Verträge der Spielzeit – gecancelt. Weit und breit keine Chance, neue ans Land zu ziehen, alles dicht, keine oder konfuse Kommunikation seitens der Theaterbetriebe!
Es herrschte Informationschaos in den Medien und v.a. auf Facebook, doch telefonisch, unterstützend war ich mit vielen Kolleg*innen im regen Austausch. Wir alle hatten dieselben Themen – abgesagte Verträge, unklare Produktonsverschiebungen, Kompensationszehlung oder nicht, selbstständig oder nicht, Hilfsansprüche oder eben nicht.
Um nicht in komplette Depression zu verfallen und das Karussell zu stoppen, fing ich an zu machen: basteln, schreiben, Musik zu machen, zu kochen, den Balkon zu bepflanzen, auch putzen, ausmisten, Dinge für die ich mir sonst kaum Zeit nahm, nehmen konnte… Das erste also was sich in mir regte, als es sonst fast nichts mehr gab – eine aktive Kreativität, die ich fließen ließ.
Meine lebenslange Liebe und Leidenschaft zu Wagner, Mozart, Verdi, klassischer Musik etc., die Tatsache, dass ich singen, Klavier spielen kann, dass ich mein Leben lang Musik und Theater machte, dabei existentiell wichtig.
Ich war geführt, gelenkt, getrieben von etwas, das nur allein aus mir kam (- nicht nur, denn jahrelange Eindrücke und Inspirationen beeinflussen natürlich mit…)
Ich lernte neue Menschen kennen, mit denen ich mich vernetzte, denen ich Mut machte – weil etwas in mir wusste, dass wir Lösungen finden würden.
Ich fand spannende Workshops, Weiterbildungen auch online, hatte Ideen für unzählige Regieprojekte, schrieb, dachte, machte…
Und siehe da 4 Wochen später – ich war in einer kraftvollen, kreativen, selbstbewussten, positiven Energie, die ich lange nicht mehr verspürt hatte.
Ich begann eine bewusste Arbeit an mir selbst, eine Reflektion über mich und das, was ich will, kann und brauche, ein Ausmisten von Glaubenssätzen, die gar nicht oder nicht mehr meine waren.
Ich las wieder und tat endlich, was da über dem Schreibtisch hing – was Voltaire, Goethe und mein Kollege mir mitgegeben hatten und es entstand ein nicht endenwollender Flow an Ideen und Projekten, an Resultaten. Wo ich jahrelang nur zugehöre, -geschaut, assistiert und oft aus Schüchternheit geschwiegen hatte, fand ich jetzt den Mut zu sprechen, zu agieren, zu helfen.
Altes loslassen, Neues schaffen, meine Visionen zum Leben erwecken. Netzwerken, Kooperieren, Informieren, aber auch Zuhören, trösten und wütend sein über Vieles das schief läuft.
krea[K]tiv- musiktheater stands up, e.V. – für die, die uns nicht kennen, mittlerweile Berufsverband für freie Musiktheaterschaffende – habe ich am 15.04.2020 erschaffen als Facebook-Gruppe mit einem empowernden Austausch über Soforthilfen, Listen mit Best-Practice-Theatern, Kompensationszahlungen, etc. etc. – die Themen sind bis heute unzählig.
www.kreaktiv.art
Meine Werte, mein Sein, meinen Blick auf die Arbeits-Lebens-Balance habe ich seither komplett upgedatet. „No more Gedankenkarussell!“ „No more Existenzangst!“
Nach dem Ende des 1. Lockdowns in Frankreich nahm innerhalb von 2 Monaten mein 1-wöchiges Festival Gestalt an, das ich für meine Heimatstadt im Bayerischen Wald im August 2020 – als eigentlich nichts möglich war und im August 2021 mehr oder weniger allein kreiert, kuratiert und künstlerisch geleitet habe. „Low budget, high passion!“
Ich coachte Gesangsstudent*innen online und als wieder möglich an der Hochschule. Ich drehte mit meinem Mann ein Musikvideo, ich lernte Canva und mache Marketing für meinen Verein. Es kamen Angebote für Regien, ich lernte Sponsoring und Förderanträge schreiben, ich lebte fast 3 Jahre von Grundsicherung, Neustarthilfen und Stipendien, weil ich keine bezahlte Arbeit fand und leistete mir dennoch endlich eine eigene Homepage, einen Dienstwagen, – ich erlaube mir kreative Retreats, schreibe alle Ideen auf, arbeite mit verschiedenen Coaches – es liegen für die nächsten 10 Jahre Bücher mit Projektideen auf dem Schreibtisch.
Ich weiß wieder, warum ich meinen Weg gehe, ich benutze selbstbewusst das Wort „ich“ – eine der allergrößten Herausforderungen.
Hier vor euch zu stehen und über mich zu erzählen – vor 3 Jahren undenkbar.
Ich lerne noch „Nein“ zu sagen, v.a. zu mir selbst, wenn ich wieder zuviel unbezahlt arbeite.
Ich muss aufpassen, bei allem Lärm, bei aller Hektik, bei allem „Leben“ die Ruhe-Momente nicht zu vernachlässigen, um meine kreative-aktive Energie weiter fließen lassen zu können.
Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, loszulassen, den Widerstand aufzugeben, im Vertrauen auf meine Intuition zu sein.
Der Erfolg spiegelt sich noch nicht im Finanziellen, ich habe oft zu viele Träume und Idee und noch Fokus-Schwierigkeiten – ob ich meinen Roman zu Ende schreibe, Intendantin werde, als erstes meine Regie- oder die Festival-Orga-Karriere weiter vorantreibe oder auf Weltreise gehe und in die Karibik auswandere, oder aber Kulturpolitik mache, Gesang studiere, Psychologie oder Jura.
Ich ersetze oder durch und, nehme mir die Zeit, die ich brauche und habe fest vor fortan so oft es geht nur noch „glücklich zu sein.“
Und die Krönung von „go with the flow“ – ich bin Mama eines fast einjährigen Sohnes namens Valentin. Und alles ist wieder anders, neu, aufregend und pures Glück. „Creactive mum.“
Valentin nennt sich übrigens auch das „Traviata-Baby“ – er kam am Premierenabend zur Welt, doch die Erzählung hierüber sprengt den heutigen Rahmen – ihm und mir werde ich auch ein noch zu entwickelndes Projekt widmen!
Jetzt hoffe ich, dass ich euch mit meiner Geschichte inspirieren konnte, einfach immer aktiv, kreativ, positiv zu sein und für noch unerfüllte Träume loszugehen – so wie mich Goethe, Voltaire und unzählige weise Menschen inspiriert haben.
Danke fürs Zuhören!
(Best-Practice-Pitch, Vortrag, gehalten auf der WAM- Jahrestagung, 16.06.2023, Bücherhallen Hamburg.)
www.womeninartsandmedia.de